Kuppenheim (Baden-Württemberg)

Jüdische Gemeinde - Rastatt (Baden-Württemberg)Bildergebnis für Kuppenheim baden-Württemberg Kuppenheim ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 8.500 Einwohnern nahe Rastatt (Ausschnitt aus hist. Karte von 1812 ohne Eintrag von Kuppenheim, aus: deutsche-schutzgebiete.de  und  Kartenskizze 'Landkreis Rastatt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Seit Ende des 16.Jahrhunderts ist dauerhafte Ansässigkeit jüdischer Familien im mittelbadischen Kuppenheim belegt; erstmals urkundlich erwähnt wurden Juden in Kuppenheim bereits in der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts. Einige badische Markgrafen ließen sie gegen Zahlung jährlicher Schutzgelder zeitweilig hier leben, andere aus ihren Ländereien wieder vertreiben. Obwohl der Markgraf Philipp II.per Erlass (1582) die Vertreibung der Juden aus seinem Herrschaftsgebiet verfügt hatte, durften einige in Kuppenheim verbleiben – vermutlich wegen ihres wirtschaftlichen Bedeutung für den hier für die Region wichtigen Wochenmarkt.

In den Jahren vor Beginn des 30jährigen Krieges sollen etwa zehn jüdische Familien in Kuppenheim gelebt haben; während des Krieges gab es hier keine Juden mehr. Infolge des großen Stadtbrandes (um 1690) verließen die meisten der inzwischen sich wieder angesiedelten jüdischen Familien die Stadt. Doch bereits Jahrzehnte später müssen sie zurückgekehrt sein; denn nun bildete sich hier eine jüdische Gemeinde (ein Betraum ist erstmals 1714 belegt).

Im Laufe des 19.Jahrhunderts vergrößerte sich die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, um ab Mitte des Jahrhunderts wieder kleiner zu werden; vor allem jüngere Menschen wanderten nach Nordamerika aus. Die Juden Kuppenheims wohnten zumeist in der Löwengasse - im Volksmund „Judengasse“ genannt.

Gottesdienste wurden anfangs in Privathäusern abgehalten. Vermutlich seit den 1770er Jahren besaß die Gemeinde eine eigene Synagoge, die am Ende der Löwengasse errichtet worden war. Doch schon nach wenigen Jahrzehnten war das Gebäude baufällig geworden; einem Bericht des Oberamtes Rastatt vom Juli 1825 zufolge sah „die Synagoge in Kuppenheim mehr einem schlechten Stall gleich als nur entfernt einem Tempel“. Deshalb wurde das marode Gebäude bereits ein Jahr später (1826) durch einen Neubau ersetzt. Anstelle des alten Synagogengebäudes wurde Ende der 1830er Jahre ein „Judenschulhaus“ eingerichtet, das neben einem Unterrichtsraum und der Wohnung des Religionslehrers auch ein rituelles Bad besaß, das bis ca. 1910 benutzt wurde.

          Synagogenraum Kuppenheims (hist. Aufn., um 1930 ?)

Ein von der Gemeinde angestellter Religionslehrer war zum einen für die Unterweisung der jüdischen Kinder, zum anderen für rituelle Aufgaben (als Kantor und Schochet) zuständig.

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Stellenangebote aus:"Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 11.12.1847 und „Der Israelit“ vom 8.12.1875

Bis auf den letzten hier tätigen Lehrer Jakob Grünbaum, der fast fünf Jahrzehnte dieses Amt inne hatte, war die Besetzung der Stelle einem häufigen Wechsel unterworfen gewesen.

Eine herausragende Rolle in der Geschichte der Juden im Landkreis Rastatt kam dem jüdischen Friedhof in Kuppenheim an der Stadtwaldstraße zu, auf dem über Jahrhunderte verstorbene Juden der Amtsbezirke Bühl, Ettlingen, Kehl und Rastatt ihre letzte Ruhe fanden; seine Anlage war im Laufe der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts erfolgt; dessen erstmalige Erwähnung ist 1694 nachweisbar. Über seine Entstehung rankt sich folgende Sage: Eine vornehme Jüdin, die mit dem Grafen von Eberstein vermählt war und zuvor ihren Glauben aufgeben musste, hatte auf ihrem Totenbette den Wunsch geäußert, dass man ihren Leichnam auf einen mit Ochsen bespannten Karren legen sollte und dann das Gespann führerlos fahren lasse. Dort, wo die Zugtiere Halt machten, wollte sie begraben sein. Auf dem Merkelkopf bei Kuppenheim blieb das Ochsengespann stehen; an gleicher Stelle legten die Juden ihren Friedhof an. Für jede Leiche musste ein Begräbnisgeld an die Landesherrschaft bezahlt werden; die Personen, die dem Verstorbenen das letzte Geleit gaben, hatten beim Passieren der Zollstätte einen Wegezoll zu entrichten. Die Kuppenheimer Judenschaft war zudem verpflichtet, einen alljährlichen Bodenzins für den Friedhof zu zahlen. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts verfügten dann die meisten Gemeinden über einen eigenen Friedhof. Seit 1889 gab es auf dem Kuppenheimer Begräbnisareal ein Taharahaus.

Seit 1827 war die Gemeinde Kuppenheim dem Rabbinatsbezirk Bühl zugeteilt.

Juden in Kuppenheim:

         --- 1614 ..........................   2 jüdische Familien,

    --- 1683 ..........................  10     “       “    ,

    --- 1701 ..........................   3     “       “    ,

    --- 1721 ..........................   5     “       “    ,

    --- 1801 ..........................  53 Juden,

    --- 1812/13 .......................  69   “   (in 13 Familien),

    --- 1825 .......................... 108   “  ,

    --- 1864/65 ....................... 142   “  ,

    --- 1875 .......................... 121   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1900 ..........................  94   “  ,

    --- 1925 ..........................  70   “  ,

    --- 1933 ..........................  51   “   (1,8% d. Bevölk.),

    --- 1937 (Apr.) ...................  40   “  ,

    --- 1939 (Jan.) ...................  26   “  ,

    --- 1940 (Sommer) .................  17   “  ,

             (Nov.) ...................  keine.  

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. S. 172

und                 Gerhard Friedrich Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, S. 103

 

Ihren Lebensunterhalt verdienten die Kuppenheimer Juden mehrheitlich im Handel mit Vieh, aber auch mit Eisenwaren und Textilien. Nach der NS-Machtübernahme verloren die wenigen jüdischen Bewohner ihre wirtschaftliche Basis; bis 1938 waren alle jüdischen Geschäfte aufgegeben worden.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Synagoge in Brand gesetzt und völlig zerstört; die Täter waren auswärtige SA-Angehörige in Zivil. Auf ihr Konto gingen auch die Hausdurchsuchungen in den von Juden bewohnten Häusern; dabei kam es zu brutalen Gewaltakten gegen Personen und Sachen. Einige jüdische Männer wurden ins KZ Dachau verschleppt.

                 Über die Vorgänge am 9./10.November 1938 berichtete der „Kuppenheimer Generalanzeiger”:

Was kommen mußte, es kam !   Der Abertausende von Jahren in der Menschheit bohrende Haß und die Verachtung des schmierigen Judentums führte nach Bekanntwerden des Ablebens des durch feige jüdische Mörderhand niedergestreckten deutschen Diplomaten Pg. vom Rath im ganzen Reich, wie es den Anschein hatte, zu spontanen judenfeindlichen Kundgebungen. Das deutsche Volk ließ sich einfach nicht mehr zurückhalten. ... Die Polizeibehörde durchblickte die Situation und schritt deshalb zur Schutzinhaftierung sämtlicher noch in Deutschland sich aufhaltenden Juden ... Um sich als deutscher Mensch vor weiterem Schaden an Körper und Geist zu schützen, ging man in Kuppenheim ... dazu über, die jüdischen Behausungen nach Waffen zu durchsuchen. Diese Vorkehrung mußte selbstverständlich auch in der hiesigen Synagoge getroffen werden. ... Regelrechte Waffen, wohl aber alte Hinterlader, wurden nicht gefunden, dafür aber Sprengpulver in großen Quantums. Von unkundiger Seite wurde dieses gefährliche Pulver achtlos beiseite geworfen. Dieses sollte dazu führen, daß durch einen noch glimmenden Zigarettenstummel, der achtlos beiseite geworfen wurde, sich das Pulver entzündete und eine mächtige Stichflamme verursachte. Im Handumdrehen stand der ganze Stall (Anm: gemeint ist die Synagoge) in Flammen. An ein Eindämmen des Feuers konnte nicht mehr gedacht werden, zumal man weitere Pulvervorräte vermutete, die eventuell eine katastrophale Auswirkung hätten nach sich ziehen können. ...

  

ausgebrannte Synagoge und Schulkinder vor der Synagogenruine, Nov. 1938 (aus: Hundsnurscher/Taddey)

Die stark beschädigte Synagoge blieb trotz behördlicher Abbruchverfügung während der gesamten Kriegsjahre noch stehen. Erst nach 1945 wurde die Synagogenruine niedergelegt, das Grundstück später teilweise überbaut. Nach dem Pogrom verstärkte sich der Druck auf die wenigen noch verbliebenen Kuppenheimer Juden; im hiesigen Gemeindeblatt war im August 1939 unter anderem zu lesen:

„ ... Die Hebräer, die sich immer noch in Kuppenheim herumdrücken und in jüdischer Frechheit Straßen, ja sogar Gehwege benutzen, können ebenfalls so gut in einer Hütte untergebracht werden. Die jüdische Leichenhalle wäre hierzu wie geschaffen und die Gefahr, einer derart ekelerregenden Kreatur zu begegnen, wäre gemindert.”

Während die meisten jüdischen Bewohner bis Kriegsbeginn emigrieren konnten, wurden die letzten 16 in Kuppenheim verbliebenen Ende Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 38 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden aus Kuppenheim während der nationalsozialistischen Herrschaft Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kuppenheim_synagoge.htm).

 

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20451/Kuppenheim%20Gedenksteine_KJG_2020.jpg

Synagogenplatz in Kuppenheim (Aufn. J. Hahn, 2020, aus: alemannia-judaica.de und G. Eichmann 2023, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

                 Am einstigen Synagogenstandort erinnert heute ein Denkmal an die ehemalige Kuppenheimer jüdische Gemeinde:

Hier stand bis zum 10.November 1938 die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Kuppenheim

In der Reichspogromnacht wurde sie im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung niedergebrannt.

Durch die anschließende Deportation der Kuppenheimer Juden in das Konzentrationslager Gurs (Südfrankreich)

wurde die jahrhundertalte jüdische Gemeinde zerschlagen.

Die Erinnerung an die Opfer ist Mahnung und Auftrag, die Würde des Menschen zu schützen.

Eine Informationstafel zur jüdischen Geschichte des Ortes ist am Rande des Synagogenplatzes zu finden; vom Synagogengebäude selbst ist noch ein Türstock erhalten.

 

Einziges Relikt jüdischer Geschichte Kuppenheims ist heute der große jüdische Friedhof mit seinen mehr als 1.000 Grabsteinen; die Trauerhalle war 1938 zerstört worden.

File:BetOlamin KUP 2.jpg

Gräberfeld des jüdischen Friedhofs in Kuppenheim (Aufn. aus: focus.de, 2007 und Th. Krug, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)         

              alte Grabsteine (Aufn. J. Hahn, 2003) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2028/Kuppenheim%20Friedhof%20158.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2028/Kuppenheim%20Friedhof%20160.jpg

Gedenkstein in Kuppenheim  Zum „Ökumenischen Mahnmalprojekt” zur Erinnerung an die Deportationen der badischen Juden, dessen Ergebnis in Neckarzimmern zu sehen ist, haben auch Mitglieder der katholischen Jugend aus Kuppenheim-Oberndorf eine steinerne Plastik beigesteuert (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

Im Jahre 2013 wurde in Kuppenheim mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ begonnen. Inzwischen sind an ca. 15 Standorten etwa 70 Steine in die Gehwegpflasterung eingefügt worden (Stand 2020). Die Verlegung weiterer 15 Steine für Angehörige der jüdischen Familie Kahn ist bislang von einem Hauseigentümer verhindert worden. Gemäß Planungen sollen bis 2025 insgesamt ca.130 Steine in Kuppenheim verlegt sein.

Stolperstein Kuppenheim Dreifuss Marie geb Friedmann.jpgStolperstein Kuppenheim Dreyfuss Heinrich.jpgStolperstein Kuppenheim Lehmann Salomon.jpgStolperstein Kuppenheim Lehmann Mina geb Leon.jpgStolperstein Kuppenheim Kahn Ludwig.jpgStolperstein Kuppenheim Kahn Klara.jpg

Stolpersteine in Kuppenheim (Aufn. D., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Stolpersteine Kuppenheim - Aktuelles verlegt für Fam. Kaufmann (aus: juedisches-kuppenheim.de)

 

 

 

Weitere Informationen:

Oskar Stiefvater, Aus der Geschichte der mittelbadischen Stadt Kuppenheim, in: Festschrift zur Feier der Wiederverleihung des Stadtrechts in Kuppenheim, Kuppenheim 1950

Oskar Stiefvater, Geschichte und Schicksal der Juden im Landkreis Rastatt, in: "Um Rhein und Murg", 5/1965, Rastatt 1965, S. 42 ff.

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 171 - 173

Hanna Meyer-Moses, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, o.O. o.J.

Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 441/442

Gerhard Friedrich Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, Hrg. Stadt Kuppenheim, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1999

Kuppenheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

F. Gil Hüttenmeister/Gerhard F. Lindner, „Gewidmet vom unvergesslichen Gatten“ – Die Grabinschriften des Jüdischen Friedhofes in Kuppenheim, hrg. von der Stadt Kuppenheim, Verlag für Regionalkultur, Heidelberg/Basel 2010

Günther Mohr, Der "Ort des Lebens in Kuppenheim" - Steinerne Zeugnise der jüdischen Lebenswelt im mittleren Baden, in: "Die Ortenau. Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden", Bd. 91/2011, S. 421 - 428

BNN (Red.), Im April kommen weitere elf Stolpersteine, in: "Badische Neueste Nachrichten“ vom 11.2.2017

Jüdisches Kuppenheim – Initiative gegen das Vergessen, online abrufbar unter: juedisches-kuppenheim.de (Anm. Informationen zu den seit 2013 erfolgten Verlegungen von Stolpersteinen)

Gunter Demnig setzt am 29.Oktober (2019) Stolpersteine in Kuppenheimer Gehweg ein, in: "RA-today. Online Magazin" vom 25.10.2019

N.N. (Red.), Anwohner verweigert Zustimmung zu Stolperstein-Verlegung, in: Onlinemagazin für Rastatt und Region vom 14.3.2020

Anne-Rose Gangl (Red.), Gegen Rechts: Gemeinderat Kuppenheim stimmt für die Errichtung eines Mahnmals, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 17.2.2021